In der saudi-arabischen Hafenstadt Dschidda sammelt die Formel 1 die nächsten Postkartenmotive. Der Premierenkurs im konservativen Königreich verläuft entlang der Küste des Roten Meeres und schlängelt sich durch die Lagune rund um die «schwimmende Moschee».
Das Wahrzeichen der Stadt an der nördlichen Spitze der Waterfront fußt auf weißen Stelzen. Bei Flut scheint es fast so, als ob die Al-Rahma Moschee auf den Wellen vor sich hintreibt. Die Kulisse für einen weltmeisterlichen Grand Prix stimmt. Max Verstappen im Red Bull könnte schon am Sonntag (18.30 Uhr/RTL und Sky) beim Nachtrennen Mercedes-Fahrer Lewis Hamilton die WM-Krone entreißen. Die nächste Expansion der Formel 1 in die Wüste wirft aber abseits des Sports soziale und politische Fragen auf.
Saudi-Arabien drängt mit dem Grand Prix weiter vor in den globalen Spitzensport. Das Land nimmt viel Geld in die Hand, um Wettkämpfe im großen Stil auszurichten: Boxen, Fußball, Tennis, Golf, Pferderennen, Snooker und mehr. Auch der Premier-League-Verein Newcastle United gehört jetzt mehrheitlich dem saudischen Staatsfonds PIF. Die Menschenrechtsorganisation Grant Liberty schätzt, dass die Regierung in den vergangenen Jahren rund 1,5 Milliarden US-Dollar (umgerechnet etwa 1,3 Milliarden Euro) investierte, um Sport-Events auszurichten oder zu sponsern. Für die Formel 1 ist von angeblich 900 Millionen US-Dollar Antrittsprämie für zehn Jahre die Rede.
Fans und Kritik
Begleitet werden diese Events von vielen Fans – und von der Kritik, das Land wolle dadurch von der Lage der Menschenrechte ablenken. Laut Amnesty International sind die Menschenrechte in Saudi-Arabien weiterhin extrem eingeschränkt. Abweichler, Frauenrechtler, Journalisten und selbst Verwandte von Aktivisten würden eingeschüchtert, willkürlich verhaftet und verurteilt, Dutzende hingerichtet. Beim «Sportswashing» würden auch Sportler, Sponsoren und beteiligte Popstars helfen, so die Kritik. Beim Grand Prix soll etwa Justin Bieber auftreten.
Die Gastgeber weisen das zurück. «Wir haben nichts zu verbergen. Wenn wir unser Image mit dem Sport reinwaschen wollen oder ähnliches, werden wir unser Land abriegeln», sagte Prinz Chalid bin Sultan al-Faisal britischen Medien zuletzt. Als Präsident des örtlichen Motorsportverbands ist er verantwortlich für die Austragung des Grand Prix. «Wir wünschen uns, dass die Menschen kommen und sehen, wer wir wirklich sind.»
Mercedes-Superstar Lewis Hamilton hatte schon im vergangenen Jahr darauf verwiesen, dass die Formel 1 eine «kraftvolle Plattform» sein könne, «um Dinge in Bewegung zu setzen». Sport habe die Kraft, die Welt zum Besseren zu verändern, sagte der Brite.
Hamilton mit Regenbogen-Helm
Hamilton will seinen Teil dazu beitragen. Der sozial und politisch engagierte Ausnahmefahrer will nach Katar auch in den beiden letzten Saisonrennen in Saudi-Arabien und Abu Dhabi seinen neuen Helm in Regenbogen-Lackierung tragen. Hamilton möchte damit die LGBTQIA+-Community auf der Arabischen Halbinsel unterstützen. LGBT ist die englische Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell und Transgender. Oft werden auch die Varianten LGBTQ, LGBTQI oder LGBTQIA+ verwendet. Jeder Buchstabe steht für die eigene Geschlechtsidentität oder die sexuelle Orientierung.
Die Formel 1 erscheint indes für Saudi-Arabien nach Debüts in der Elektro-Serie Formel E (2018) und der Rallye Dakar (2020) nun wie ein logischer nächster Schritt. Das konservativ regierte Königreich wetteifert im Sport auch mit seinen Golfnachbarn, vor allem den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar, wo die Formel 1 ebenfalls gastiert. Das Live-Publikum war bei den bisherigen Rennen noch überschaubar. Aber laut Fans hat das Land im Motorsport seine beste Zeit vor sich. Die regierungsnahe Nachrichtenseite «Arab News» zitierte eine Dirtbike-Fahrerin: «Es ist eine leuchtende Zukunft.»
«Vision 2030» heißt das Reformprogramm, mit dem Saudi-Arabien sich bis 2030 unabhängiger machen will vom Öl – auch durch Investitionen im Ausland und im Sport. Der Grand Prix in der Küstenstadt Dschidda dürfte damit erst am Anfang stehen. Die Strecke soll nach Worten von Chloe Targett-Adams, Direktorin für Vermarktung bei der Formel 1, «ein Jahrzehnt, wenn nicht länger» im Kalender bleiben. Das ist viel Zeit, um Fragen zu stellen und auch Antworten zu bekommen.