Kaugummi kauend erschien Lewis Hamilton nach dem Sturz von der WM-Spitze zu seiner letzten Medienrunde in Istanbul. Lässig präsentierte sich der englische Mercedes-Pilot auch nach Max Verstappens Rückeroberung der Formel-1-Führung mit Red Bull.
Eine umstrittene Teamstrategie und eine seiner Einschätzung nach fehlende Risikobereitschaft hatten Hamilton aber zuvor aufgebracht. Im Millimeter-Zweikampf um den Titel werden in den nur noch sechs verbleibenden Grand Prix schließlich keine Fehler verziehen.
Frustrierter Hamilton
«Ich bin jemand, der Risiken eingeht. Deshalb wollte ich es auch riskieren», betonte Hamilton, der sich am Sonntag in der Schlussphase des Rennens auf Platz drei liegend der Anweisung des Kommandostands fügte und im Regen zum einzigen Reifenwechsel an die Box kam. «Meinem Bauchgefühl nach hätte ich draußen bleiben sollen», klagte er. «Ich bin deshalb frustriert, nicht meinem Instinkt gefolgt zu sein.»
Abbauende Gummis und die Sorge vor einem Ausfall hatten die Strategen zum Handeln gezwungen. Hamilton wollte jedoch durchfahren, Platz fünf am Ende warf ihn sechs Punkte hinter den neuen WM-Spitzenreiter Verstappen zurück. «Lewis Hamilton hat die WM-Führung verloren, nachdem sein Mercedes-Team sich wie Angsthasen benommen und ihn zu einem sinnlosen Boxenstopp gerufen hat», kritisierte die «Daily Mail» in England und nannte es eine «verhängnisvolle Entscheidung mit all ihren möglichen Auswirkungen darauf, wer am Ende die Krone trägt».
Mercedes mit Schadensbegrenzung
Mercedes ging es bei Hamilton, der nach einer Strafversetzung von Rang elf gestartet war, um Schadensbegrenzung. «Mit dem Risiko einen Reifenplatzer zu haben und damit zehn Punkte zu verlieren oder am Ende aufgefressen zu werden, hast du am Ende auch nichts gewonnen», meinte Teamchef Toto Wolff über die Gefahr eines Null-Stopp-Rennens. Ein Ausfall Hamiltons wäre «offensichtlich katastrophal» gewesen.
Dafür nimmt der Kommandostand auch einen über Funk schäumenden Star in Kauf. «Wir haben eine dicke Haut und verstehen, dass der Fahrer über die Situation frustriert ist. Im Nachhinein wird er sie aber verstehen», befand Wolff, der allerdings einen frühen Stopp des siebenmaligen Weltmeisters als wahrscheinlich «richtige Wahl» bezeichnet hatte. Noch vor zwei Wochen in Russland hatte ein später Reifenwechsel Hamilton den 100. Grand-Prix-Sieg beschert.
«Ich spüre keinen Druck»
«Ich spüre keinen Druck, ich bin entspannt», beteuerte der 36-Jährige vor der Abreise. «Ich mag es nur nicht, Punkte zu verlieren.» Verstappen versichert ebenfalls, auf der Jagd nach seinem ersten Titel keine allzu große Anspannung zu verspüren. «Für mich ändert es nichts, ob ich am Ende des Tages Erster oder Zweiter werde», behauptete der 24-Jährige. Aber hoffentlich reiche es am Ende für die Weltmeisterschaft. Falls nicht: «Schlafe ich nicht weniger.»
Red Bull ist nach den jüngsten Auftritten der Silberpfeile aber gewarnt. «Was uns Sorgen macht, ist dieser unglaubliche Topspeed von Mercedes auf den Geraden, das ist seit Silverstone so und scheint mehr zu werden», mahnte Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko. «Ich weiß nicht, ob unsere Leute ein Gegenmittel haben.»
Red Bull wird alles daran setzen, eine Lösung zu finden. Eine vorzeitige WM-Entscheidung erscheint ausgeschlossen. Wolff zufolge werden mögliche Ausfälle den großen Unterschied im Titelkampf machen. «Ich schaue vorsichtig optimistisch in die Zukunft», sagte Wolff, der nun «ein echt gutes Paket» bei Mercedes lobte. Er ist sich sicher: «Es wird sehr eng bis zum Ende.»