Die Todesgefahr wurde Lewis Hamilton erst mit etwas Abstand richtig bewusst. «Heute muss jemand von oben auf mich geschaut und aufgepasst haben», betonte der siebenmalige Weltmeister nach Ansicht der Bilder vom Monza-Crash.
Die Aufnahmen von Max Verstappens Red Bull, der auf seinen Mercedes krachte und liegen blieb, hinterließ beim Formel-1-Superstar mehr als einen schweren Brummschädel. «Erst wenn du sowas erlebst, kriegst du einen Schock, du schaust aufs Leben und realisierst, wie zerbrechlich wir sind», sagte Hamilton, die Stimme eher leise. Aus seinen Worten klang vor allem die Dankbarkeit, diesen Unfall überlebt zu haben.
Halo als Schutzengel für Hamilton
Denn was erstmal nur spektakulär aussah und in diese verrückte Saison mit dem vergifteten Duell des 36 Jahre alten Titelverteidigers mit seinem 13 Jahre jüngeren Herausforderer zu passen schien, erwies sich als unfassbar gefährlich für den Briten. «Lewis Hamilton ist nur um Zentimeter einer Tragödie entgangen», schrieb die britische Zeitung «Daily Mail». Noch nie sei er von einem Auto am Kopf getroffen worden, berichtete Hamilton selbst. «Gott sei Dank gibt es Halo. Das hat mich letztlich gerettet.»
Ohne den Cockpitschutz, der seit 2018 auch gegen anfängliche Widerstände zur Pflicht an den Rennwagen gehört, wäre das Auto von Verstappen mit dem rechten Hinterrad ungebremst und ungeschützt auf den Kopf von Hamilton gekracht. So aber wurde von dem Bügel, der übersetzt «Heiligenschein» heißt, das Schlimmste verhindert, auch wenn Hamiltons Kopf dennoch nach vorn gedrückt wurde. «Ich werde wahrscheinlich zu einem Spezialisten müssen, um zu sehen, ob ich für das nächste Rennen fit bin», sagte Hamilton.
Dass er danach eher verzweifelt versucht hatte, seinen Silberpfeil aus dem Kiesbett wieder auf die Strecke zu bekommen, obwohl der Red Bull in den Mercedes verkeilt war, belegt auch, dass er sich der Tragweite des Crashs zunächst gar nicht bewusst gewesen war. «Im Rennmodus» sei er noch gewesen, erklärte Hamilton.
Verstappen im WM-Rennen knapp vor Hamilton
Den 100. Grand-Prix-Sieg seiner Karriere verpasste er erneut, die WM-Führung bleibt bei Verstappen mit fünf Punkten Vorsprung auf Hamilton. Mercedes-Teamchef Toto Wolff warnte vor «taktischen Fouls» in dem knallharten WM-Duell – und meinte den Niederländer. «Ich möchte das von keinem Fahrer denken, aber ich denke, dass es entweder eine Fehleinschätzung oder eine kalkulierte Bewegung war, um mit Lewis zu kollidieren», sagte der ehemalige britische Weltmeister Damon Hill mit Blick auf Verstappens Aktion
Der Niederländer hatte in einer Schikane trotz Platzmangels dagegen gehalten und so den Unfall verursacht. So zumindest bewerteten die Rennkommissare die Schuldfrage. Verstappen muss beim nächsten Rennen in Sotschi deshalb drei Plätze weiter hinten starten.
Als Hamilton davon während einer laufenden Medienrunde hörte, spürte man die Erleichterung. Sie galt nicht dem möglichen kleinen Vorteil beim Großen Preis von Russland. «Wenn du damit durchkommst, machst du auch so weiter», erklärte vielmehr Hamilton, dem Verstappens Verhalten im Königlichen Park zu schaffen machte.
Hart geführtes WM-Duell
Der WM-Führende, der vor zwei Monaten Leidtragender einer Kollision der beiden bei Hamiltons Heimsieg in Silverstone gewesen war, hatte den Unfallort ohne einen Blick auf Hamilton verlassen. «Ich habe gesehen, wie Max aussteigt und vorbei geht», schilderte Hamilton: «Das hat mich überrascht. Wenn du so einen Unfall hast, ist das erste, das du wissen willst, dass der andere okay ist.» Prompt schrieb die «Gazzetta dello Sport» von einem «Krieg ohne Rücksicht auf Verluste».
Immerhin gaben sich die Red-Bull-Verantwortlichen, die nach dem Silverstone-Crash noch tagelang lamentiert und eine härtere Strafe für Hamilton gefordert hatten, diesmal ungewohnt zahm. Sie suchten die Schuld wegen eines verkorksten Boxenstopps bei sich. Teamchef Christian Horner sprach von Enttäuschung wegen der Strafe gegen Verstappen, es sei doch ein Rennunfall gewesen. Einer, der diesen Titelkampf aber noch nachhaltig prägen dürfte.