Nach seiner Gala in São Paulo sprang Formel-1-Premierensieger George Russell noch mit dem Helm auf dem Kopf wie entfesselt in die Arme seiner Mechaniker. «Ich wusste, dass wir es schaffen können, ich wusste es. Ich brauche ein paar Taschentücher», sagte der von seinen Gefühlen überwältigte Engländer mit Freudentränen in den Augen.
Nach einem Startchaos mit Safety-Car-Phase hielt der beeindruckend fahrende Russell sogar seinen heranstürmenden Teamkollegen Lewis Hamilton auf Distanz und bescherte Mercedes in Brasilien den ersten Grand-Prix-Erfolg des Jahres. Russell war im Ziel gerade einmal 1,5 Sekunden schneller als der zweite Silberpfeil.
«Es war am Ende so hart, er hat so viel Druck aufgebaut», räumte Russell ein, der via Telefon Glückwünsche des in Interlagos fehlenden Mercedes-Teamchefs Toto Wolff bekam. «Das ist so ein fantastisches Ergebnis. Glückwunsch an George. Ich freu mich wirklich so sehr für ihn», sagte Hamilton, der auf seinen 104. Karriereerfolg weiter warten muss.
Dritter im Krimi von Interlagos wurde Carlos Sainz im Ferrari. Ein früher Crash mit Hamilton ließ den längst als Weltmeister feststehenden Max Verstappen im vorletzten Saisonrennen nicht über Position sechs hinauskommen. Dass der Niederländer seinen Teamkollegen Sergio Perez nicht vorbeiließ, der noch um den zweiten WM-Rang kämpft, sorgte für stark erhitzte Gemüter in der Red-Bull-Box. Eine provokante Machtansage von Verstappen noch aus dem Auto heraus erst recht.
Keine Punkte für Vettel und Schumacher
Aston-Martin-Fahrer Sebastian Vettel verpasste im vorletzten Grand Prix seiner Karriere als Elfter die Punkte. Mick Schumachers Wochenende war eine Gefühlsachterbahn. Platz 20 in der Qualifikation, in der sein Teamkollege Kevin Magnussen zur sensationellen Pole Position gerast war. Dann kämpfte sich der 23-Jährige, dessen Zukunft bei Haas in der kommenden Woche offiziell geklärt werden soll, im Sprint auf Rang zwölf vor. Schumacher wurde nach einer nachträglichen Zeitstrafe gegen Alpha Tauris Pierre Gasly 13. – wieder keine Punkte.
«Normalerweise ist der Sieg nicht drin, aber ich hoffe es trotzdem», sagte Verstappen wenige Minuten, bevor die Roten Ampeln erloschen. Klagen über die Balance seines Red Bull und eine falsche Reifenwahl im Sprint erlaubten ihm nur den Start von Rang drei.
Vor sich hatte der zweimalige Weltmeister erstmals in dieser Saison das silberne Duo. Sprintsieger Russell und Hamilton als Zweiter machten sich Hoffnungen auf den silbernen Sieg-Coup. «Ich liebe es hier», sagte Hamilton, neuerdings auch Ehrenbürger von Brasilien, vor den Fans. «Ich hoffe, wir können euch ein gutes Rennen liefern.»
Kollision zwischen Hamilton und Verstappen
Wie so oft hatte es Interlagos in sich. Ein Kontakt zwischen Magnussen und McLarens Daniel Ricciardo alarmierte schon nach wenigen Kurven das Safety Car. An der Spitze führte Russell vor Hamilton sowie den Red Bulls Verstappen und Sergio Perez das Feld an. Vettel verbesserte sich um einen Rang auf acht, Schumacher auf Position zehn.
Russell entschied auch den Re-Start für sich. Hamilton und Verstappen kollidierten dagegen in Kurve zwei. Wagenpartikel flogen nach dem Einschlag in die Luft. «Er hat mir keinen Platz gelassen», klagte der Niederländer, der den Engländer aber auch kompromisslos attackiert hatte. Schon im vergangenen Jahr hatte es zwischen den beiden Piloten in Brasilien gekracht. Hamilton krönte damals eine irre Aufholjagd über das gesamte Wochenende sogar mit dem Grand-Prix-Erfolg.
Fünf-Sekunden-Strafe für Verstappen
Verstappen bekam an der Box eine neue Front und für den Unfall auch noch eine Fünf-Sekunden-Strafe. «Wohin hätte ich denn fahren sollen?», beschwerte sich der Red-Bull-Star. Hamilton konnte dagegen weiterfahren. Vettel war zwischenzeitlich sogar auf Podiumskurs, Schumacher lag gerade noch in den Punkten.
Russell baute seine Führung auf Perez auf fast 3,7 Sekunden aus, ehe der Mexikaner in der 24. Runde als Erster der Spitzengruppe an die Box kam und Mediumreifen aufzog. Verstappen mit einem verpatzten Stopp und der Mercedes-Frontmann folgten.
Hamilton blieb erstmal draußen und übernahm die Führung. «Es wird dunkel hier draußen, ist Regen zu erwarten?», wollte er von seiner Crew wissen. Nein, nichts zu sehen. In Runde 30 bog auch der siebenmalige Weltmeister zum Reifenwechseln ein. Er nahm anschließend als Vierter die Verfolgung auf seinen Landsmann Russell auf.
Russell: «Das ist erst der Anfang»
Hamilton arbeitete sich vor. In Runde 45 schnappte er sich Perez und war erster Jäger seines Teamkollegen. Hamilton fehlten aber noch rund zehn Sekunden. In der 49. Runde bekam er an der Box die weichen Reifen. «Warum, was zum Teufel…?», schäumte Hamilton, der eigentlich draußen bleiben wollte. Einen Umlauf später kam auch Russell rein.
Lando Norris musste wegen eines Defekts seinen McLaren auf dem Kurs abstellen. Wieder wurde das Safety Car eingesetzt, um den Wagen zu bergen. Das Feld zog sich zusammen, frische Spannung für die Schlussphase!
«Ihr fahrt gegeneinander, aber bitte seid respektvoll», lautete die Mercedes-Ansage an Russell und Hamilton für die letzten Runden. Es kam aber zu keinem brenzligen Zweikampf der beiden mehr. Russell krönte sein Rennen mit dem Grand-Prix-Sieg und kündigte an: «Das ist erst der Anfang.»