Charles Leclerc drehte den Kopf ein bisschen zur Seite. «Hallo, Lewis», sagte der 25 Jahre alte Monegasse Richtung Rekordweltmeister Hamilton.
Schon mal die Begrüßung zweier künftiger Teamkollegen in Rot? Eher nicht. Nach den wilden Spekulationen einer britischen Zeitung um einen möglichen Wechsel des Briten zu Ferrari und damit womöglich als Teamkollege des an diesem Wochenende wieder besonders im Fokus stehenden Leclerc, sorgten der Chef des Monegassen und Hamilton für mehr Klarheit. Es habe kein Angebot gegeben, betonte Frederic Vasseur und Hamilton meinte: Da sei wohl jemandem langweilig geworden nach der Absage des Rennens zuletzt im Imola.
So weit, so gut. Leclerc, der sogar auch als Tauschobjekt in dem Bericht gehandelt worden war, konnte sich wieder seinem Heimrennen widmen. Damit hat er auch genug zu tun. An Glück glaube er nicht so, betonte Leclerc. An Pech damit auch nicht. Das aber begleitet ihn ausgerechnet in seiner Heimat.
2021 mit viel Pech
Zu Formel-2-Zeiten schied er an einem Rennwochenende gleich zweimal aus, danach setzte sich sowas wie ein Fluch für den Monegassen fort. 2021 war es besonders tragisch: Er hatte sich die Pole gesichert, bei einem Crash im Qualifying seinen Wagen aber so beschädigt, dass er im Rennen letztlich gar nicht starten konnte. Und im vergangenen Jahr, wieder von der Pole, musste er sich nach einer Boxenstopp-Posse seines Teams mit Rang vier begnügen.
Er kennt also jedes Schlagloch, jeden Winkel, jede Tücke, die die nur 3,337 Kilometer kurze Strecke an der Côte d’Azur zu bieten hat und sagt: «Adrenalin: Das ist das, was der Kurs dir gibt. Es ist eng und uneben. Um schnell zu sein, musst du deinem Gefühl vertrauen.» Nur eines kennt er – auch im Gegensatz zu Hamilton, der schon dreimal im Fürstentum triumphierte – aber nicht: Wie sich ein Sieg in Monaco anfühlt.
Leclerc viel kritisiert
Dass er in der bisherigen Saison eher durch Unfälle denn Punkte und Top-Platzierungen auffiel, macht es für Leclerc derzeit nicht einfacher, sein Vertrag beim italienischen Team ist noch anderthalb Jahre gültig, Gespräche über einen neuen Kontrakt hat es noch nicht gegeben, sagte Leclerc am Donnerstag.
Der Druck wächst, die Kritik auch. «Leclerc muss damit aufhören, sein Auto zu crashen, es hält ihn und das Team auf», meinte der britische Ex-Pilot und TV-Experte Martin Brundle in seiner Kolumne bei Sky Sports. «Er sollte das Team zu Höherem führen und nicht die Werkstatt so beschäftigen.» Leclerc sei unheimlich schnell und hole viel aus dem Auto raus, «aber er macht zu viele Fehler und verursacht zu viel Schaden», urteilte der schottische Ex-Fahrer und Channel4-Experte David Coulthard.
Als Ferrari Leclerc einst zu sich holte und Sebastian Vettel an die Seite stellte, machte die Scuderia unmissverständlich klar, wem die Zukunft gehören würde – und wem nicht. Zwei Jahre fuhren beide zusammen für die Scuderia, ehe Vettel noch mal wechselte. Leclerc blieb, Leclerc war gesetzt. Ende 2019 war sein Vertrag um weitere zwei Jahre bis Ende 2024 verlängert worden. «Ich bin gespannt, was die Zukunft bereithält», sagte Leclerc damals.
Vor wenigen Wochen erschien ein Buch über ihn, Titel: Das Wunderkind. Schicksalsschläge haben ihn geprägt, 2017 starb sein Vater mit nur 54 Jahren. Zwei Jahre zuvor war sein Patenonkel Jules Bianchi an den Folgen eines schrecklichen Formel-1-Unfalls gestorben. Diese schweren Stunden hätten ihm geholfen, reifer zu werden, erklärte Leclerc in dem Buch.
Er lebt ein eher unauffälliges Leben im Fürstentum, ein Ferrari auf den Straßen Monacos ist halt auch keine Seltenheit. Als allerdings in diesem Jahr seine Adresse bekannt geworden war, bat er seine Fans darum, die Privatsphäre zu respektieren. «Eure Unterstützung bedeutet mir sehr viel, aber es gibt eine Grenze, die nicht überschritten werden sollte», schrieb er bei Instagram und erklärte, dass sich Menschen vor seinem Apartment versammelt, geklingelt und nach Fotos und Autogrammen gefragt hätten.
Ruhe, Reife und mentale Stärke wird er jetzt auch sehr gut gebrauchen können. Es geht dabei nicht nur um den Sieg in Monaco. Es geht auch darum, zu zeigen, dass er die hohen Erwartungen letztlich erfüllen kann. Vor dem Großen Preis von Monaco an diesem Sonntag (15.00 Uhr/Sky) liegt Leclerc nur auf dem siebten Platz in der WM-Wertung. Gerade mal 34 Punkte holte er, nur einmal kam er als Dritter aufs Podest.