Eigentlich müsste sich Sebastian Vettel das alles nicht mehr antun. Niemand wäre wohl richtig überrascht, würde der viermalige Weltmeister nach fast 16 Jahren in der Formel 1 seine Karriere nach dieser Saison beenden.
Doch der 35-Jährige hat immer noch nicht genug, verhandelt nun mit seinem Aston-Martin-Rennstall über einen neuen Vertrag. Der letzte Sieg ist fast drei Jahre her, das aktuelle Auto lahmt und gerade erst reichte es sogar nur noch für den letzten Platz. Was also treibt den Hessen überhaupt noch an?
Vettel träumt von einer Rückkehr zu den ruhmreichen Zeiten. Von 2010 bis 2013 war er im Red Bull das Maß aller Dinge, feierte vier WM-Titel in Folge. In der Ära der Hybridmotoren wurde das Team dann von Mercedes abgehängt.
Ziel: Podestplätze mit Aston Martin
Mit seinem Wechsel zu Ferrari war die Hoffnung verbunden, es dort wie sein Idol Michael Schumacher erneut ganz nach oben zu schaffen. Der Plan scheiterte, der Heppenheimer wurde rausgeschmissen und schloss sich 2021 Aston Martin an. Beim englischen Autobauer reichte es noch nicht für einen Sieg, alleine die Fahrt in die Punkte ist keine Selbstverständlichkeit. «Es ist natürlich nicht das Jahr, das wir uns vorgestellt haben», sagte Vettel.
Und eigentlich wollte der Umwelt-Aktivist 2023 nur hinters Steuer, wenn ein deutlicher Aufwärtstrend erkennbar ist. «Ich rede mit dem Team und es gibt die klare Absicht, weiterzumachen», sagte Vettel nun in Le Castellet. In Frankreich findet am 24. Juli (15.00 Uhr/Sky) der zwölfte WM-Lauf statt. Zur Halbzeit ist Vettel 14. der Gesamtwertung, liegt mit mageren 15 Punkten weit hinter den Erwartungen zurück, auch den eigenen. «Das ultimative Ziel ist der Kampf um Podestplätze und Siege, dafür bin ich hier», sagte Vettel vor einigen Wochen. Doch auch er weiß: «Wir sind sehr weit davon entfernt.»
Aston Martin startete im Vorjahr das aktuelle Formel-1-Projekt und will innerhalb von fünf Jahren um den Titel mitfahren, hieß es damals. Nach dieser Saison, nach der Vettels aktueller Vertrag endet, bleiben also noch drei Jahre. Es ist kein Geheimnis, dass sich der Rennstall schon weiter wähnte, zumindest in den Kampf um die Podestplätze eingreifen wollte. Doch das Konzept des Autos passt nicht. Vettel soll seinen Teil dazu beitragen, dass sich das ändert.
Vettel: «Ich fühle mich nicht alt»
«Wir möchten, dass er noch lange bleibt», sagte Teamchef Mike Krack: «Wir haben eine sehr, sehr gute Beziehung.» Man habe sich gegenseitig kein Zeitlimit für den Abschluss der Verhandlungen gesetzt, man weiß aber, dass es mit einer Einigung nicht zu lange dauern sollte.
Zuletzt gab es Spekulationen, Vettel könnte ein weiteres Mal wechseln und den schwachen Australier Daniel Ricciardo bei McLaren ersetzen. Doch der 53-malige Grand-Prix-Sieger dementierte das schnell. «Ich kenne ein paar Leute da, aber es sind nur Gerüchte», sagte Vettel, für den Aston Martin die erste Wahl bleibt. Fraglich ist also vor allem, wie lange sich beide Seiten aneinander binden. Denn wirkliche Alternativen gibt der Fahrermarkt nicht her. Eine Frage des Alters sei es jedenfalls nicht. «Ich fühle mich nicht alt. Rein körperlich stecken noch einige gute Jahre in mir», sagte Vettel.
Natürlich muss sich Vettel im Spätherbst seiner Karriere auch einige unangenehme Fragen gefallen lassen. Warum gelingt es ihm nicht, in einem Team für entscheidende Verbesserungen zu sorgen und ein Auto zu entwickeln, dass es ganz nach vorne schafft? So wie eben Schumacher bei Ferrari. Nachhaltig gelang ihm das weder in sechs insgesamt enttäuschenden Jahren bei der Scuderia noch aktuell bei Aston Martin.
In sportlicher Bedeutungslosigkeit verschwunden
Und nun droht er in der Motorsport-Königsklasse sogar zur deutschen Nummer zwei degradiert zu werden. Fährt Kumpel Mick Schumacher am Sonntag am Mittelmeer zum dritten Mal nacheinander in die Punkte, könnte er erstmals an Vettel vorbeiziehen. Aktuell trennen beide nur drei Zähler. Die Erinnerungen an seine Erfolge – den letzten Rennsieg gab es im September 2019 im Ferrari in Singapur – verblassen immer mehr. Vettel ist in der sportlichen Bedeutungslosigkeit verschwunden und der Weg heraus scheint beschwerlich, wenn nicht sogar unmöglich.
Aston Martin kann dem Dreifach-Vater auch für die mittelfristige Zukunft keine Siege oder gar Titel garantieren. Die neue Rennfabrik des Teams um den kanadischen Milliardär Lawrence Stroll wird wohl frühestens 2023 in Betrieb gehen und kann so schnell nicht für einen Unterschied sorgen. Auch die für viel Geld eingekauften Ingenieure der Konkurrenz werden Zeit brauchen, um Schritte nach vorne zu machen. Und trotzdem will sich Vettel dem Projekt verschreiben.