Vom Gesicht von Ayrton Senna hängen Spinnweben herab. Sonnenstrahlen brechen durch die Wolkendecke über dem Parco delle Acque Minerali in Imola und scheinen auf die Bronzestatue.
Am Zaun außerhalb der berüchtigten Tamburello-Kurve auf dem Autodromo Enzo e Dino Ferrari hängen verblichene Fotos der brasilianischen Formel-1-Ikone, auch Fahnen sind in den Draht gezwirbelt. Die Farben verblassen immer mehr. Dennoch bleibt das Denkmal Sennas eine Pilgerstätte für Fans.
Die Formel 1 hat sich im vergangenen Jahr, als die Corona-Pandemie auch den Rennkalender so schonungslos durcheinanderwirbelte, an fast schon vergessene Kurse zurückerinnert. Mugello war zum Beispiel so eine Strecke, auch der Nürburgring. Im Notkalender fand dann nach 14 Jahren Abwesenheit auch Imola Platz.
Jener Kurs, der auf Betreiben einer anderen Ikone, Enzo Ferrari, ab 1950 gebaut wurde. Der erste Stein wurde am 6. März 1950 verlegt, das erste Rennen fand drei Jahre später statt. Als «kleinen Nürburgring» bezeichnete Ferrari die am kleinen Park gelegene Rennstrecke, die ab 1988 seinen und den Namen seines früh an einer Krankheit gestorbenen Sohnes Dino trug.
Schmerz und Abschied liegen in Imola dicht beieinander – aber auch Begeisterung und Aufbruch. «Immer wenn wir früher morgens hier ankamen, um uns auf das Rennen vorzubereiten, sah man auf dem Hügel hinter der Rivazza-Kurve eine Wand aus Tifosi. Zu wissen, dass die meisten von ihnen schon die ganze Nacht dort waren, gab uns immer einen riesigen Energieschub», erzählte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto an diesem Grand-Prix-Wochenende.
Binotto war als Motoreningenieur an Michael Schumachers Titelserie bei Ferrari von 2000 bis 2004 beteiligt. Der Kerpener ist mit sieben Siegen noch immer Rekordgewinner auf dem Kurs, der die Fahrer noch immer begeistert. «Ich liebe sie, sie ist eine technische Strecke mit vielen schnellen Kurven, die es einem erlauben, in einen Rhythmus zu kommen», schwärmte Alpha-Tauri-Pilot Pierre Gasly, «und es gibt keine Verschnaufpause, weil sie ziemlich kurvig ist.»
Eine dieser Kurven ist die Tamburello, wo Senna sein Leben verlor. Es war ein schwarzes Wochenende im Frühjahr 1994, als zunächst Sennas Landsmann Rubens Barrichello einen schweren Crash noch überstand, dann aber der Österreicher Roland Ratzenberger sein Leben ließ. Senna, diese Lichtgestalt, dieser dreimalige Weltmeister, war schwer getroffen. Dennoch setzte er sich am Rennsonntag am 1. Mai in seinen Williams. «Was willst du noch beweisen?», hat der damalige Rennarzt Sid Watkins Senna nach eigener Schilderung vor dem Erlöschen der Roten Ampeln gefragt und damit zum sofortigen Rücktritt überreden wollen.
Der Mann, dem sogar die Chance zum Präsidentenamt in Brasilien zugetraut wurde, startete dennoch, verunglückte in der Tamburello und starb. «Wir haben wahrscheinlich das kostbarste Talent in der Geschichte der Formel 1 verloren», sagte Sebastian Vettels Ferrari-Nachfolger Carlos Sainz.
Dieser schmale Kurs, der einer Berg- und Talfahrt gleicht und nach diesen tragischen Tagen entschärft wurde, ist immer noch gefährlich. Geschichte, Umgebung und Rhythmus beeindrucken die Fahrer auch heute noch, die sonst auf vielen gleichförmigen modernen Kursen Gas geben.
Vom modernisierten Fahrerlager in Imola sind es knapp zehn Minuten zu Fuß, ehe man vor Sennas Denkmal steht. Man spaziert zuvor an einem Graffito vorbei, das Scuderia-Gründer Enzo Ferrari zeigt, kann den Santerno fließen sehen und hört das Röhren der Motoren.
Imola habe «viel Charakter, der den neueren Strecken manchmal fehlt, und das spürt man, wenn man über die Kerbs hüpft», erzählte Williams-Fahrer George Russell, der hier im vergangenen Jahr unter dem Safety Car crashte. «Es ist eine Strecke, auf der man, wenn man einen Fehler macht, raus ist. Aber genau darum sollte es im Rennsport gehen.» Oder?